Lange sehnte ich mich nach der Winterpause. Die Abstände der Spieltage im Dezember schienen sich wie Kaugummi in die Länge zu ziehen und wollten einfach nicht vergehen. Zu wenig Abwechslung, zu wenige Erfolgserlebnisse. Ich war gedanklich komplett durch mit der Vorrunde, mit der Mannschaft und mit dem zur Schau gestellten Dilettantismus. Wer meinen letzten Beitrag gelesen hat, sollte einen groben Überblick der Beweggründe bekommen haben.
Naiv und gutgläubig, wie man als Fußballfan in vielen Belangen rund um seinen Verein nun mal einfach ist, habe ich an ein paar ruhige Weihnachts- und Neujahrstage anschließend doch wieder aufmerksam verfolgt, was sich im weiß-grünen Zirkus an neuen Attraktionen versammelt. Bunte Pixelpuzzle dechiffriert, die im Livebild Testspiele aus dem Trainingslager zeigen sollten, Transfergerüchte gelesen, spekuliert und diskutiert. Und dann kommt eben doch recht schnell wieder die Hoffnung auf, dass man nach der üppig verfügbaren Übungszeit eventuell doch wieder eine Mannschaft formen konnte, die einem wieder das zeigen kann, was man zuletzt schmerzlich vermisst hatte. Dass sich etwas entwickelt hat, dieser berüchtigte und vielzitierte nächste Schritt gegangen werden konnte. Der Glaube stirbt ja bekanntlich zuletzt, wenngleich gerade der Abgang des routinierten Mittelfeldstabilisators Sukalo die Zuversicht durchaus etwas zu trüben vermochte. Die Floskelmaschinerie arbeitete Ende des letzten Jahres ja ohnehin auf Hochtouren. „Wir sind noch nicht soweit“ war dabei so oder in ähnlicher Erscheinungsform stets meine Lieblingsausflucht ins Reich der Ausreden und Alibis. Man vergegenwärtige sich an dieser Stelle für einen Moment, dass wir von knapp ÜBER einer kompletten Saisonhälfte reden. Besonders vor dem Hintergrund, dass die bisher wohl vielversprechendsten Leistungen in den ersten Spieltagen dargeboten wurden, muss man sich über solche Aussagen doch sehr wundern. Das zweite Saisonspiel gegen Leipzig ließ mich begeistert zurück. Lang, lang ist’s her. Konsequentes Pressing, Offensivfreude, flüssiges Kombinationsspiel mit schnörkellosen Abschlüssen waren die entscheidenden Komponenten des vermeintlich neuen Fürther Spiels, die mich so sehr überzeugten. Was ist heute davon übrig? Die ernüchternde, wie gleichermaßen schockierende Antwort lautet: äußerst wenig, außer dem Bestreben weiterhin nach diesem Rezept agieren zu wollen.
Die ursprüngliche Spielidee erscheint verwaschen. Ausgebleicht. Man ist zwar bemüht noch immer die angriffsfreudige Grundidee zu verfolgen, entwickelt daraus allerdings aufgrund einer instabilen Abwehr inklusive Konteranfälligkeit und mangelnder Durchschlagskraft in der Offensive keine Ergebnisse, die den oft doch überlegenen Stil wiederspiegeln. Grundsätzlich bin ich noch immer ein großer Freund dieses Vorhabens, gerade in Tagen der ligainternen, taktischen Einfältigkeit. Da wiederhole ich mich gerne. Aber nach über der Hälfte einer Saison kann man grundsätzlich schon erwarten, dass das Elementarste des eigenen Spiels über weite Strecken eines Ligaspiels abgerufen werden kann. Und sogar damit könnte ich mich ja jederzeit abfinden, wenn man denn als Kompensation wenigstens das Herz in beide Händen nehmen und den Rasen umpflügen würde. Da aber auch das nicht immer klappt – und da möchte ich nicht mal mangelnden Willen ankreiden – , bleibt eben doch immer mal wieder ein seltsam saft- und kraftloser Eindruck bestehen. Das ist keine furchtbar neue Erkenntnis, aber eben doch das, was mich vermehrt zuletzt auf die Palme gebracht hat. Und mich schlussendlich auch mit der Mannschaft hadern ließ.

Zu dem Start in das neue Jahr gegen die Gäste aus dem bekannten Hamburger Stadtteil brauche ich an dieser Stelle eigentlich kaum Worte verlieren. Vorab war ich zu Gast im Millernton, einem von Sankt Pauli Fans betriebenen Podcast, der vor und nach jedem Spiel ein kleines Interview mit Anhängern des gegnerischen Vereins führt. Dort wurde unter anderem gefragt, was man vom Spiel erwarten würde beziehungsweise wie dieses Spiel verlaufen könnte. Meiner Antwort war ich mir spontan relativ sicher: Die Spielvereinigung wird viel Ballbesitz haben, optisches Übergewicht, sich aber vor dem Tor zu uninspiriert zeigen und schlussendlich aufgrund der obligatorischen zwei, drei Schnitzer in der Hintermannschaft einem tiefstehenden Gast knapp geschlagen geben müssen. Es kam für mich folglich wenig überraschend, dass sich ein zu dieser Prognose überraschend kongruenter Spielverlauf darstellen sollte. Wer seine persönliche Schmerzgrenze in die Kategorie „Masochismus“ einordnen kann und die letzten Spiele des zurückliegenden Kalenderjahres verfolgt hat, versteht worauf ich hinaus möchte: Es blieb entgegen meiner hoffnungsvoll naiven Erwartungshaltung zum Jahreswechsel eben keine unmittelbar erkennbare Weiterentwicklung zu verzeichnen. Das letzte, auf das schlussendlich verkorkste Premierenspiel folgende Auswärtsduell im beschaulichen Frankfurter Stadtteil Bornheim bot ebenfalls nur bedingte Besserung. Wo es in der ersten Halbzeit noch gelang, einen unkonzentriert wirkenden Gastgeber einige Male mit ungewohnter Zielstrebigkeit sowie Präzision in eine Unordnung zu spielen und zwei ansehnliche Tore zu erzielen, offenbarten sich nach Wiederanpfiff zur zweiten Hälfte mittlerweile manifestierte Muster: Sobald der Gegner unbequem zu bespielen wird, Zweikämpfe und Hektik das Zepter übernehmen, verliert das Kleeblatt schnell den roten Faden im eigenen Spiel. Unnötige Ballverluste und unkonzentrierte Abspiele lassen das Momentum kippen. Und das sind genau jene Momente, die zuletzt häufig Spiele entschieden. Leider ist in dieser Hinsicht auch keine Besserung in Sicht. Seit Saisonbeginn kämpft man mit dem Phänomen, in Spielen häufig eine ordentliche und eine richtig schwache Halbzeit anzubieten. Das in der Mannschaft schlummernde Potential blitzt in solchen Phasen stroboskopartig immer wieder auf, aber gleichzeitig lässt man die letzte Klasse vermissen, um solche Spiele routiniert über die Zeit zu bringen. Oder eben bereits vor dem Schlusspfiff für sich zu entscheiden. Und so wird auch der wahrlich nicht für eine spielerische Offenbarung im Verdacht stehende Fußballsportverein aus der Mainmetropole nach einer komfortabel erscheinenden Halbzeitführung (doch noch) zu einem zumindest mittelgroßen Problem. Nein, mehr als Mittelmaß kann man so wahrlich nicht erreichen. Und vielleicht ist diese propagierte Übergangssaison auch gar nicht so verkehrt, wenngleich mich das verschenkt wirkende Potential in einer Spielzeit mit vergleichbar deutlich schwächerem Leistungsdurchschnitt doch sehr wurmt. Aber um die Vorteile gegenüber einer Platzierung knapp hinter den Aufstiegsrängen nicht aus den Augen zu verlieren: man sollte wohl nicht zuletzt die Mannschaft besser zusammenhalten können. Aber Gedankenspiele über die Ursachen der stockenden Entwicklung müssen erlaubt sein. Man brauchte zuletzt kein Feingespür, um das Murren im Umfeld richtig zu deuten: Der Trainer steht zunehmend in der Kritik.
Stefan Ruthenbeck genoss über den allergrößten Teil der bisherigen Saison meine Rückendeckung. Gut, es ist natürlich nicht so, dass er sich davon irgendetwas kaufen könnte. Allerdings zeugt das Präteritum in diesem Satz von einer Veränderung dieser Situation. – Wie bereits weiter oben angesprochen, bin ich generell ein Unterstützer der Ruthenbeckschen Marschroute für etwas Eigenes zu stehen und eine eigene Spielidee zu entwickeln. „Eigen“ dabei sowohl auf ihn als damit verbundenen Trainer, als auch auf den Verein beziehungsweise die entsprechend auftretende Mannschaft bezogen. Und das finde ich auch legitim, da muss sich der Trainer nicht unbedingt zurücknehmen, solange er seine Vorstellungen des Fußballspielens konsequent und mit sichtbaren Erfolgen vertritt. Wenn ein Trainer darüber hinaus dazu bereit ist, dieses Vorhaben über einen längeren Zeitraum für die Entwicklung einer gewachsenen Mannschaft einzusetzen, ist das – eine Einhaltung dieses Versprechens vorausgesetzt – eine wirklich gute Sache für einen vergleichsweise leider blassen Verein der zweiten Liga. Von meiner anfänglichen Begeisterung der ersten Auftritte zu Beginn der Spielzeit und der daraus entstandenen Vorfreude berichtete ich bereits. Heute muss ich leider zugeben, dass sich das deutlich in das Gegenteil umgeschlagen hat. Und daran trägt der Trainer ebenfalls seine Mitschuld. Es muss die Frage erlaubt sein, warum der „nächste Schritt“ als Konsequenz der wiederkehrenden Erkenntnis „noch nicht so weit zu sein“ so lange auf sich warten lässt. Man muss Personalentscheidungen hinterfragen dürfen – es drängt sich insbesondere der Name Kumbela auf, dessen Stippvisite in Fürth schlussendlich hinsichtlich der Schuldfrage nur spekulativ aufgeklärt werden kann. Man muss hinterfragen dürfen, warum sich einige Spieler in einem Dauerformtief befinden, während andere nie eine wirkliche Chance erhielten sich zu beweisen. Und um den Bogen zur Aktualität zu schlagen: Man darf auch den Eindruck bekommen, dass der Trainer angezählt wirkt. Seine Anschuldigungen gegenüber den Anhängern im Stadion im Anschluss an das Sankt Pauli Heimspiel war ein mittleres Armutszeugnis und zudem das Eröffnen einer völlig überflüssigen Baustelle. Als ob es davon nicht bereits genug geben würde. – Rückblick: Vor der Saison wurde vollmundig versprochen, dass man jedes Heimspiel gewinnen wolle. Und dann muss man sich als Anhänger jede Woche den gleichen austauschbaren Stopfer ansehen. Statt seiner Mannschaft anzukreiden, dass sie keine ausreichenden Leistungen auf das Feld bringen, um dem Versprechen jedes Heimspiel gewinnen zu wollen etwas Leben einhauchen zu können, kritisiert man die Anhänger, die die Mannschaft kritisieren. Und darüber hinaus sollten sich Ruthenbecks Meinung nach die Fans nicht wundern, wenn „Spieler sich dann für Berlin oder Braunschweig entscheiden“, statt nach Fürth zu kommen beziehungsweise hier zu bleiben. Weil da bestimmt nicht gepfiffen werden würde, wenn es Scheiße läuft. Nein, der Trainer ließ sich, vermutlich durch seine eigene Enttäuschung angestachelt, zu einer ungeschickten Äußerung hinreißen. Auch daran zu erkennen, dass er im Anschluss an das Frankfurt Spiel die mitgereisten Kleeblätter überschwänglich lobte und bei fortgesetztem persönlichen Gefallen sogar Freibier für den harten Kern der aktiven Supporterschar in Aussicht stellte. Die anfängliche Klarheit in seinen Aussagen und Visionen geht aktuell etwas verloren. Das Wort „aktuell“ darf gerne so interpretiert werden, dass ich auf einen temporären Effekt hoffe und dieses Thema entsprechend weiter aufmerksam beobachten möchte.

Und auch zu dem Verhalten Jurgen Gjasulas möchte ich nicht schweigen, da es mich im Stadion wirklich fuchsteufelswild gemacht hat. Dieser erdreistete sich nach dem gefühlt dreißigsten Katastrophenpass der zweiten Halbzeit doch tatsächlich in der Endphase des Spiels dazu, die aufkommenden Unmutsbekundungen aus dem Publikum mit einer recht unmissverständlichen Geste zu quittieren: Der ausgestreckte Zeigefinger auf die eigenen Lippen gelegt. Schweigen. Ja, die Fans soll(t)en schweigen! Jetzt mag ein mangelndes Selbstbewusstsein sicher nicht das allergrößte Problem eines oberkörperfrei posierenden Instagram Models mit in den Nacken tätowierten Spielmacherinsignien sein, aber den Zweitliga-Ibrahimovic zu mimen, war in dieser Situation ein Eigentor. Dass das als unmittelbare Reaktion natürlich auf den Rängen auch nicht unkommentiert blieb, ist selbstverständlich. Gegeben: Kritik muss einfach erlaubt sein. Nein, ich bin auch kein Fürsprecher des Auspfeifens – besonders nicht einzelner, eigener (!) Spieler -, aber wie soll man sich als Anhänger sonst Gehör verschaffen? Unzufriedenheit bekunden können? Wachrütteln? Den Frust runterschlucken und aus Rücksicht auf das offensichtlich äußerst sensible Gemüt der verletzlichen Profifußballer stets gut zureden, kann ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr das Mittel der Wahl sein. Ja, es sind Menschen, keine Roboter, aber wir leben im Profisport eben auch nach dem Leistungsprinzip. Leute zahlen erspartes Geld und opfern viel Zeit, um solchen Spielen beiwohnen zu können. Das hört sich furchtbar abgedroschen an, entbehrt allerdings seinen wahren Kern nicht. Da wäre es im Falle des anhaltenden Misserfolgs das Mindeste, das man von den Profis zumindest ein wenig Verständnis erntet. Und keine Verhöhnung. Außerdem muss man sich angesichts einer solch unreifen Reaktion auch fragen, ob die Lage überhaupt schon bis in die Köpfe der Protagonisten vorgedrungen ist. Und wie es so um die Selbstreflexion einiger Angestellten bestellt ist. Für mich unterstreicht ein solches Verhalten leider den Charakter, den diese Kleeblatt Mannschaft oft relativ geschlossen an den Tag legt: Sorglosigkeit, mentale Laissez-faire Prämisse, Unkonzentriertheit, Überheblichkeit. – Nun möchte ich Gjasula trotz allem Ärger im Anschluss an das Spiel auch nicht verteufeln. Jeder macht Fehler, jeder reagiert unter Druck einmal falsch. Aus so einer einmaligen Sache sollte man zunächst keinem einen Strick drehen – dem Prinzip der zweiten Chance folgend. Man möchte schließlich noch Leute mit Ecken und Kanten auf dem Feld sehen, so wie damals auch schon. Nicht die weichgespülten Schwiegermutterdarlings, die aus den Nachwuchsbatterien sämtlicher Profivereine strömen. Aus Anhängersicht bleibt aber eben doch ein fader Beigeschmack. Und eine aufmerksame Beobachtung der Bewährungsauflagen.
Ich würde mir wünschen, in diesem Rahmen zukünftig wieder erfreulichere Dinge ansprechen zu können. Soll sich dieser Blog doch nicht zum Archiv für Anklageschriften jeglicher Art mausern. So oder so – es bleibt wohl weiterhin spannend. Und von mir aufmerksam verfolgt.
Gemeinsam nur nach vorne!
Ein Kommentar zu „Vertigo.“