Zank.

Die Hektik der wochentäglichen Spieltermine im Rahmen der sogenannten englischen Woche legt sich allmählich, das Kleeblatt hat nach drei Spielen innerhalb einer Woche nun zehn Tage Verschnaufpause. Eine willkommene Gelegenheit, um einen längst überfälligen Blick in den Rückspiegel zu werfen.


Es läuft gerade die Mitte der zweiten Halbzeit auf dem Ronhofer Rasen vor dem im Verhältnis zur Restkulisse mittlerweile mächtig wirkenden Betonbunker Haupttribüne. Ein niederklassiges, weil zähes Ringen gegen – ganz besonders aber mit – dem Ball prägt das Geschehen. Ausgehend vom Stimmungszentrum der Nordtribüne verselbstständigt sich der erste Gesang gegen den Verein der verbotenen Stadt. Unweigerlich kommt einem der Gedanke in den Sinn, gerade Zeuge der verbalen weißen Flagge zu werden, schien das Interesse an der anscheinend kurzerhand als verloren erklärten Partie doch rapide zu sinken. Auf dem Feld steht es zu diesem Zeitpunkt übrigens uneinholbar 0:1. Für die Würzburger Kickers.

„Derby“.

Genau die Würzburger Kickers, die das anstehende Aufeinandertreffen mit der Spielvereinigung im emotionalen Überschwang der ersten gewonnenen Zweitligapunkte forsch als „Frankenderby“ ausriefen. Schwer zu beurteilen, ob mein Empfinden in dieser Sache Einzelkämpferstatus genießt, aber dennoch sei gesagt: Ich finde das schon bemerkenswert dreist, wenn man sich als Liganeuling ohne vorzeigenswerte Vergangenheit in den oberen Spielklassen im Schein eines derartig historischen Duells sonnen möchte. Man bedenke, dass das Kleeblatt zu diesem Zeitpunkt bereits 260 Mal die Klingen mit der Nachbarstadt kreuzte, während gerade das erste Aufeinandertreffen mit den Unterfranken in der eingleisigen zweiten Liga anstand. Natürlich muss auch Würzburg einen Weg finden, sich zu verkaufen. Sich zwischen der fränkischen, Würzburg gegenüber ziemlich gleichgültig eingestellten Konkurrenz, zu positionieren, um den sportlichen Aufwärtstrend auch mit entsprechenden Zuschauerzahlen untermauern zu können. Und der Begriff „Derby“ klingt trotz des gefühlt wöchentlichen medialen Durchnudelns wohl noch immer attraktiver als „Nachbarschaftsduell“ oder vergleichbare, inhaltlich treffendere Auszeichnungen. Trotzdem erscheint mir das eigenmächtige Erheben eines Spiels in ein konstruiertes Rivalitätsgefüge eine respektlose Angelegenheit zu sein, die mindestens Fingerspitzengefühl vermissen lässt und für mein persönliches Verständnis kurz vor dem Prädikat Frechheit einzuordnen ist.

Niederlage. (Quelle: spvgg-fuerth.com)
Niederlage. (Quelle: spvgg-fuerth.com)

Das Spiel steht kurz vor dem Ende, die Kickers erhöhen nochmals ihren Vorsprung. Spätestens in diesen Momenten werden selbst die kühnsten Optimisten erkannt haben, dass die an diesem Abend überdurchschnittlich unerfahrene Fürther Mannschaft dem Darmstadt-esquen Defensivriegel nichts Gewinnbringendes beizusetzen hatte. Bekannt klingende Rufe, ausgehend von der Gegenseite, erreichen die Nordtribüne: „Derbysieger, Derbysieger – hey, hey!“. – Wo die Gegenseite ihr virtuelles Derby soeben für beendet erklärt zu haben schien, ging auf weiß-grüner Seite eben dieses erst los. Das unglückliche und bisweilen fahrige Spiel, die Niederlage und die feiernden Gäste traten noch vor dem Schlusspfiff in den Hintergrund. Die Vorsängeransagen an den Stimmungskern sowie das angestimmte Liedgut richteten den Fokus der Anhängerschaft nun endgültig, unmissverständlich auf den Dienstagabend.

Derby.

Fast Forward. Das nunmehr zurückliegende Frankenderby wird sich nicht in meine Topliste der emotionalsten Derbys einsortieren lassen. Über die Gründe kann ich abschließend nur spekulieren, meine aber doch eine Mischung verschiedener Faktor ausmachen zu können:
Ein Faktor ist unbestreitbar die Anstoßzeit. Das zweite Auswärtsderby in Serie, das an einem Wochentag um rund 18 Uhr angepfiffen wird. Eine Ansetzungsserie, die sicherlich so nicht mehr ganz dem Zufall geschuldet ist. Man muss wohl hinlänglich von einem tiefgreifenden Vorsatz ausgehen, schließlich wurde vor gar nicht allzu langer Zeit noch die Terminierungsprämisse „Kein Derby im Dunkeln“ von Seiten der Planungshoheiten öffentlich kommuniziert. Wo in der letzten Saison bereits alles andere als Freude angesichts der stressigen Anreise aufkam, musste man hinsichtlich Berufsverkehrs und Einlasskontrollen erneut Schlimmstes befürchten. Ein Aufschub der Anstoßzeit, da waren sich viele anreisende Fürther einig, war nur Formsache. Als sehr gut organisierte Anreisealternative, im Gegensatz zum alljährlichen Spießroutenlauf rund um die U-Bahn Fahrt, erwies sich der Buskonvoi. Entspannt und ohne große Verzögerungen schlich dieser im weiten Bogen um den Nürnberger Norden, fernab von herrschaftssüchtigen USK-Schlägern in RoboCop-Verkleidungen. Ein Lob gebührt den Horidos für Idee und Umsetzung, das darf man gerne in Zukunft wieder so machen – vorausgesetzt das Tabellenbild nimmt noch andere Gestalt an und beide beteiligten Seiten halten die Klasse.
Eines weiteren Faktors der emotionalen Handbremse bin ich mir relativ sicher: Auch der sportliche Reiz hat sich wohl über den Verlauf der letzten Jahre die Hörner abgestoßen. Das Pokalderby, in der Hauptrolle ein gewisser Eddy Prib, war angesichts der symbolischen mittelfränkischen Machtübernahme nach vielen Jahren strikt getrennter Ligazugehörigkeiten sowie angesichts des K.O.-Spiel Charakters von einer zum heutigen Zustand unvergleichbaren sportlichen Tragweite. Heute trifft man sich zumeist irgendwo in der goldenen Mitte der Tabelle mit tendenziellen Ausreißern in beide Extreme. Ein Derbysieg ist noch immer ein Prestigeerfolg, dem aktuell jedoch die übergeordnete sportliche Konsequenz fehlt. Drei Punkte und diese erfreuliche Deutungshoheit in Schule, Uni oder Büro – mehr gibt es auch für einen Derbysieg nicht. Angesichts der letzten Ergebnisse müsste man an dieser Stelle eigentlich hinzufügen: leider.

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Derbysieger. (Quelle: spvgg-fuerth.com © Sportfoto Zink)

Das Spiel hat standesgemäß wohl ein jedes Kleeblatt verfolgt. Oder zumindest nachgeholt. Deswegen zum eigentlichen Spiel nur wenige Worte. – Eine erneut sehr junge Mannschaft lässt keinen Zweifel an ihrem Vorhaben, den Derbysieg einfahren zu wollen. Das Einschwören, der Schulterschluss am Zaun der Nordtribüne im Anschluss des Würzburg-Spiels schien gefruchtet zu haben. Formulierungen wie „gallisches Dorf“, „großes Nürnberg“ und Apelle an den Zusammenhalt sind auf der einen Seite natürlich stets mit einer gehörigen Portion Pathos angereichert, vermitteln aber in wenigen einfachen Worten das wesentliche Credo: „Ihr für uns, wir für euch. Gebt alles und wir werden gewinnen“. Im Hinterkopf war bei vielen Spielern sicher auch noch die Verabschiedung nach dem vorangegangenen Auswärtsderby, als die Mannschaft aufgrund ihres Einsatzes trotz schmerzlicher Niederlage mit aufmunterndem Applaus verabschiedet wurde. Der Club schien an diesem Abend zwar die, besonders in der Anfangsphase, etwas zwingender auftretende Mannschaft zu sein, strahlte im gleichen Augenblick jedoch auch eine größere Angst vor Fehlern aus. Das Kleeblatt konnte nicht vollends kaschieren, dass wichtige Korsettstangen im Personalgefüge der ersten Elf aktuell ausfallen, hatte schlussendlich aber folgerichtig das Glück der Tüchtigen auf seiner Seite. Und schon wieder Derbysieger, Kleeblatt Fürth!

Schall und Rauch

Traditionsgemäß richtete sich der Fokus auch wieder auf die Ränge des rotbestuhlten Achtecks in Langwasser. Die Einigung der beiden beteiligten Vereine, Choreografien für die jeweiligen Auswärtsfangruppen aufgrund verschiedener Verfehlungen zu verbieten, beschränkte sich auf die abgelaufene Saison. Somit war für beide Seiten in kreativer Hinsicht Tür und Tor geöffnet. Die Nürnberger Nordkurve griff wenig überraschend erneut auf eine Choreo zurück, die sich eines Zitats aus den Kulturgütern Film oder Musik bediente. Die Wahl fiel auf Werner Herzogs Abenteuerstreifen Aguirre, der Zorn Gottes, der die lange Serie der selbstverherrlichenden Botschaften würdig fortzusetzen vermochte. Einmal mehr keinerlei Bezug zum Verein, keinerlei Bezug zur Stadt oder der Historie des Derbys zu erkennen. Die übersetzte Message des Gesamtensembles beschränkte sich dem Gesetz der Serie folgend auf die Kernaussage: „Schaut her, wir haben die dicksten Eier überhaupt“. Ich kann nichts damit anfangen und finde nicht, dass sich eine Fangruppierung – unabhängig davon mit welcher Einstellung, Ambition oder welchem Selbstbild diese ausgestattet ist – über das Spiel und dessen Kontext erheben sollte. – Andererseits gäbe es wohl kaum eine öffentlich bekannte Person, die in ihren hervorstechenden Eigenschaften die Nürnberger Ultras besser zusammenfassend beschreiben könnte, als Klaus Kinski. Doch das nur am Rande.
Auf Seiten der Spielvereinigung wird die gewählte Form der Choreographie naturgemäß durch den Einsatz des Rauchs ähnlich kontrovers diskutiert. Vorweg: Ich kann beide Seiten der Diskussion nachvollziehen und beide Positionen haben ihre Daseinsberechtigung. Die inhaltliche Verbindung zwischen der Aussage der Spruchbänder und dem abwechselnd angeordneten Rauch, der sich dann zu einem chaotischen, unkontrollierten (vgl. „eskalieren wenn sich eines mit dem anderen vereint“ als Teil des Spruchbandes) Gemisch verband, wusste konzeptionell wie auch optisch zu überzeugen. Zudem setzte es die Aussage des letzten Auswärtsderbys fort, in dem das Spruchband „Ultra‘ bleibt selbstbestimmt“ als Antwort auf die Choreoverbote präsentiert wurde. So die Nachbarn, wie es vorauszusetzen ist, in ihrem Auswärtsderby ebenfalls nicht auf den Einsatz von Rauch und/oder Fackeln verzichten werden, habe ich einen – wohl nur schwachen – Trost für die Contra-Pyro-Seite: Es wird danach wieder für mindestens eine Saison keine erlaubten Choreografien im Rahmen des mittelfränkischen Prestigeduells geben, die die Sicht auf das Spielfeld oder die Taler in der Vereinskasse einschränken könnten. Man darf gespannt sein, ob sich dieser Wechsel nun im Saisonrhythmus manifestieren wird.

Verzweiflung. (Quelle: nordbayern.de © Sportfoto Zink / DaMa)
Verzweiflung. (Quelle: nordbayern.de © Sportfoto Zink / DaMa)

 

„Däi Färrder ham gwunna, der Glubb hat verlor’n!“. Wer hin und wieder bei einem Derby im Block steht oder zumindest regelmäßig im Nachgang seine Facebook-Videos durchforstet, wird an diesem Gesang nicht vorbeigekommen sein. „Nürnberg give it up“ nach der Melodie von KC & The Sunshine Band ist das vielleicht aktuellste Beispiel ohrwurmverdächtiger Derbyhits. Und dann wäre da natürlich auch noch der all-time favorite, der mit fünf Städten beginnt, deren örtliche Ultragruppen eine Allianz mit den Sonnenanbetern der Roten pflegen. Bis zum heutigen Tag wird von unserer Seite gerne über die AntiFÜ-Kampagne des Rivalen – oder um im Ton zu bleiben: Der Ziggareddenbürschlä – hergezogen. Vor vielen Jahren gab es auswärts in Nürnberg ein Spruchband, auf dem sinngemäß stand, dass aufgrund dieses allgegenwärtigen Aufdruckes immer „ein bisschen FÜ“ ihren Weg begleitet. Dieses Spruchband kommt mir zuletzt vermehrt in den Sinn. Vielleicht wird bereits klar, worauf ich hinaus möchte, welches tendenzielle Muster erkennbar wird: Ich beobachte auf unserer Seite eine latente Entwicklung zur Anti-Haltung gegenüber des Rivalen, die die Pro-Beziehung zum eigenen Verein langsam in den Schatten zu stellen scheint und unserer Seite in meinen Augen allmählich die Legitimation raubt, die AntiFÜ-Kampange noch länger auf dem Standpunkt einer vermeintlichen moralischen Überlegung zu belächeln. Bevor die ersten relativierenden Einwände kommen: Natürlich bleibt ein Derby ein Derby. Soll heißen, dass ein Kuschelkurs fehl am Platz wäre. Alleine aufgrund der diversen Vorgeschichten wäre das schon unangebracht. Bei einer historisch gewachsenen Rivalität gehören Provokationen und Zank zu den ungeschriebenen Regeln. Die Frage für mich ist nur: In welchem Maß bleibt man dabei, in welchem Rahmen möchte man sich bewegen? Definieren wir uns wirklich zu einem solch gewichtigen Teil über Antiphatie gegenüber Dritten und stellen uns damit schlussendlich mittelfristig auf die gleiche Stufe der Nachbarn? Oder sind wir nicht viel mehr stolz auf unseren Verein, der unser Leben als wesentlichen Fixpunkt begleitet, und all das, was wir gemeinsam erreicht haben und hoffentlich in Zukunft noch erreichen werden?
Die große predigende Moralkeule zu schwingen, wäre unangebracht, da es wie bei vielen aktuellen Themen im Fußballkosmos (man denke an dieser Stelle kurz an das dauerpräsente Thema um den nervigen Neu-Bundesligisten RBL) kein definiertes Richtig oder Falsch gibt. Eine Prise Sensibilisierung für die Thematik ist wenngleich aber wohl auch nicht der schlechteste Begleiter auf dem Weg zu weiteren mittel(!)fränkischen Fußballfehden. Schließlich sind wir die Spielvereinigung Fürth, nicht die Spielvereinigung Nicht-Nürnberg. Ihr wisst doch: Nur damit es jeder weiß.
Vielleicht orientieren wir uns in Zukunft ja ein wenig am Würzburger Auftreten und singen ein „Derbysieger, Derbysieger – hey, hey!“ mehr. Neuerdings besteht ja wieder jegliche Berechtigung, diesen Titel voller Stolz zu tragen.

 

Immer an deiner Seite.

 

Ein Kommentar zu „Zank.

  1. Sehr schön geschrieben, vielen Dank dafür.

    Gut zu erkennen ist diese bloße Anti-Haltung vieler auch daran, dass die Pöbelgesänge immer lauter rüberkommen als andere Gesänge. Klar, die sollen ja auch auf der Gegenseite ankommen, genau so wie alle anderen Gesänge die Mannschaft erreichen soll.

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