Braucht das Kleeblatt einen neuen Topf?

Die Spielvereinigung dümpelt durch die Pufferzone der zweithöchsten deutschen Spielklasse und der geneigte Beobachter bekommt schonungslos das Gefühl vermittelt, dass es gerade einfach nicht passen mag. Aber – wo hakt es denn eigentlich? Oder anders gefragt – wo eigentlich nicht? Eine vorsichtige Aufarbeitung meiner Beobachtungen.

 

Die SpVgg hat am Vorabend einen trostlosen Auftritt mit fünf Gegentoren gegen das zu diesem Zeitpunkt Tabellenschlusslicht aus Frankfurt Bornheim beendet. Tags darauf schlägt man die Zeitung auf und liest von einem angeblichen Interesse von Werder Bremen an Trainer Kramer. Eine kolportierte Ausstiegsklausel für die erste Liga – das übliche Theater, die üblichen Hintertürchen für Angestellte mit höheren Ambitionen. Es scheint auf den ersten Blick wie die sprichwörtliche Faust auf‘s Auge zu passen. Der schwächelnde, ratlose Großverein hofft auf den Impuls eines dynamischen Jungtrainers von einem unterklassigen Verein. Neue Ideen, andere Methoden, ein modernes Spielsystem. Soviel zur Theorie. – Nun, eigentlich sollte man jetzt als Anhänger wohl bibbernd auf der Couch sitzen und hoffen, dass sich der beurlaubte Fürther Gymnasiallehrer zu seinem Arbeitgeber bekennt und den eingeschlagenen Weg mitgeht, gerade wo Kramer bis jetzt den wiederkehrenden Lockrufen der Erstligisten standgehalten hat. Aber ist das wirklich so?

Jain. Charakterlich, soweit man das aus der Halbdistanz beurteilen kann, ist er tadellos. Sympathisches Auftreten. Zweifacher Derbysieger, beinahe Aufstiegstrainer der letztjährigen Spielzeit. Auf der anderen Seite aber stehen in meinen Augen zwei Punkte, die man ihm auch zur Last legen muss.

Der erste Punkt ist das Spielsystem. Kramer hat es geschafft nach seinem Amtsantritt in mitten der bereits verkorksten Bundesligasaison eine Spielphilosophie zu etablieren und der Mannschaft seine Handschrift zu verleihen, trotz mangelhafter Kaderstruktur auf vielen Positionen. In der darauffolgenden Zweitligasaison gelang es ihm, aus einem beinahe komplett neu zusammengestellten Kader eine Spitzenmannschaft zu formen, die bekanntlich erst in der Relegation von der Hamburger Aktiengesellschaft knapp ausgebremst werden konnte. Zur aktuellen Spielzeit mussten wieder Säulen der Mannschaft ersetzt werden, namentlich federführend Abwehrstratege Mavraj, Dauerläufer Brosinski und kreativer Freigeist Stieber. Und genau hier liegt in meinen Augen der Knackpunkt. Frank Kramer möchte nachwievor in weiten Teilen dieselbe Grundformation und Ausrichtung spielen lassen, hat aber in seiner Amtszeit das erste Mal das Problem, dass die Spieler seine Vorgaben scheinbar nicht umsetzen können. Es mangelt offensiv an Überraschungsmomenten, klaren Abschlussaktionen und Torgefahr im letzten Angriffsdrittel. Die Spielzüge wirken oft uninspiriert und voraussehbar. Die Folge ist, dass selbst und gerade die defensiv orientierten Mannschaften zu oft zu leichtes Spiel haben, die Angriffsbemühungen des Kleeblatts zu verteidigen. Für das 4-2-3-1 bräuchte man eben in der offensiven Dreierreihe Spieler, die mit Kreativität, individueller Klasse und Tempo Chancen kreieren können. Im Moment ist aber nur Tom Weilandt in der Lage, diese Rolle sporadisch zufriedenstellend auszufüllen. Die Folge ist, dass Pritsche im Sturmzentrum völlig losgelöst vom restlichen Team im Bermudadreieck zwischen Innenverteidigung und defensiven Mittelfeld rackert, aber komplett abgeschnitten langen, konzeptlosen Bällen hinterherhecheln muss. Von den beiden Sechsern kommt zu wenig offensive Qualität, Ballbesitz bedeutet zumeist Querpässe auf die Flügel und zurück in die Zentrale. Damit enden Kombinationen regelmäßig vor dem gegnerischen Sechzehner. Auch Standards bringen trotz kopfballstarken, groß gewachsenen Spielern nichts ein, weil die Flanken zu unpräzise sind oder man sich für die komplizierte, kurze Variante entscheidet.

Auf der anderen Seite ist die Defensive trotz altbewährtem Personal ungewohnt anfällig, sowohl kollektiv wie auch individuell. Eine Gegentorflut mit Treffern der kuriosesten Erscheinungsformen. Ausgleich in der 93. Minute, 30-Meter-Distanzschüsse, Ping-Pong-Abpraller, verschlafene Freistöße – kurz: Das komplette Programm Pleiten, Pech und Pannen. Außerdem eklatante Schwächen auf den Außenverteidigerpositionen.

Zunächst dachte ich, dass die Mannschaft einfach in der neuen Besetzung noch ein paar Spiele braucht, um die anspruchsvollen Vorgaben entsprechend umsetzen zu können. Da seit einigen Spielen aber allenfalls dezente Verbesserungen erkennbar sind, kann man davon leider nicht mehr sicher ausgehen.

Der zweite große Minuspunkt ist der Umgang mit Spielern aus dem zweiten Glied. Das beste Beispiel dafür ist Marco Rojas. Zum Saisonbeginn aus Stuttgart geliehen, um der Offensive noch ein wenig individuelle Klasse verleihen zu können und eine quirlige Option zu haben, fand er bislang keinen Weg in die Mannschaft und musste sich zumeist mit einem Bankplatz begnügen. Zumindest bis gestern. U23-Torjäger George durfte in den 18er Kader, während Rojas für die Regionaligareserve spielen musste, dort aber wenigstens ein Tor erzielte. Abends ließ er sich es auch nicht nehmen noch einen sarkastischen Post auf Facebook zu veröffentlichen. Klar, dass der Spieler mit der Situation nicht zufrieden sein kann. Er wurde mit der klaren Zielstellung verliehen in Fürth nach einer dem Vernehmen nach sehr starken Vorbereitung Spielpraxis sammeln zu können. Klar, dass Kramer ihn für mangelnde Trainingsleistungen versetzen kann. Aber es ist in der aktuellen Situation eben äußerst unglücklich, schließlich hat man mit Azemi, Hesl, Pledl und Mohr vier verletzte potentielle Stammspieler, die der Mannschaft als Korsettstangen fehlen. Verscherzt man es sich dann mit den wenigen Alternativen, macht das die Konkurrenzsituation im Kader nicht besser und sorgt für vermeidbare, schlechte Stimmung im Team. – Auch Robert Zulj wurde schon zweifach in der Presse mit klaren Unmutsbekundungen ob seiner Jokerrolle zitiert. Hier fehlt mir das geschickte Händchen, um auch unzufriedene Spieler aus der zweiten Reihe bei Laune zu halten und für eine fruchtbare Konkurrenzsituation zu sorgen.

Rojas über seinen Einsatz in der U23.
Rojas über seinen Einsatz in der U23.

Auch die Auswechslungen müssen zunehmend angekreidet werden. In der letzten Saison hatte Kramer noch oft die richtige Nase und wechselte häufig Joker ein, die stachen. In dieser Saison werden mit Wechseln sehr lange gewartet und teilweise unverständliche Entscheidungen getroffen.

Alles in allem möchte ich Frank Kramer nicht diskreditieren, aber als Teil des Ganzen muss auch er sich und vorallem sein Spielsystem in der aktuell durchwachsenen Phase überdenken. Er scheint mir für den Verein eine Idealbesetzung zu sein, doch auch er macht im Moment keinen glücklichen Gesamteindruck. Bezeichnend dafür ist auch die entschuldigende Geste vor der Nordtribüne vor den aufgebrachten Fans nach Spielende.

Kann die Mannschaft es nicht besser? – Nein, ich bin überzeugt davon, dass diese Mannschaft zu deutlich mehr in der Lage ist. Aktuell kann sie das Potential nicht auf den Platz bringen. Es mangelt an Selbstvertrauen und Selbstverständnis. Auch die Körpersprache zeugt von einem angeschlagenen Zustand. Nach Wiederanpfiff im Spiel gegen den FSV Frankfurt (Stand 2:3) konnte ich nur selten den Biss, den letzten Willen erkennen, dieses Spiel um jeden Preis noch biegen zu wollen. Die Führungsspieler scheinen auch gerade nicht in der Lage zu sein, voran zu gehen und die jungen Spieler zu führen. Aber was bremst das Team? Ist es wirklich die Verunsicherung? Ist es eine Formschwäche? Stimmt es innerhalb der Mannschaft nicht?

Es ist schwer darüber eine richtige Einschätzung abzugeben, ohne das Innenleben der Mannschaft zu kennen. Es scheint im Moment etwas nicht zu passen – anders kann man die gehäuften, grausamen Ausrutscher der bisherigen Spieltage nicht erklären. Einerseits der eigentlich gute Saisonstart mit einem wahnsinnig emotionalen Derbysieg, andererseits die blutleeren, enttäuschenden Auftritte in München und gegen Frankfurt. Mittelmäßige bis durchwachsene Auftritte in Sandhausen und Ingolstadt. – Die Spielvereinigung hat im Moment zwei Gesichter, die in regelmäßiger Unregelmäßigkeit zum Vorschein kommen. Die zweite Liga ist in ihrer Leistungsdichte so dicht besiedelt, dass man schlussendlich an einem schlechten Tag auch gegen den in Normalform antretenden Tabellenletzten verlieren wird – was man ja bereits zweifach nachzuweisen im Stande war. Das macht es nicht einfacher. Es gibt keine klassischen Aufbaugegner mehr, wie es vor einigen Jahren noch war. Spiele, in denen man auch mit schwacher Form relativ problemlos gewinnen konnte, um wieder in die Spur zu kommen und Selbstvertrauen zu tanken.

Und dann wiederum: Eigentlich ist ja noch nichts verloren. Die Saison ist noch lange (kostet fünf Euro, ich weiß) und der Bundesliganeuling aus Ostwestfalen hat letzte Saison ja auch gezeigt, welche Wirkung eine Rückrunde auf konstant starken Niveau haben kann. Aber ganz ehrlich – mir fehlt im Moment der Optimismus. Das mag sich stellenweise nach „Jammern auf hohem Niveau“ anhören, aber es kann einfach nicht der Anspruch sein, im grauen Mittelfeld der Liga zu versauern. Niedriger Etat und Kaderumbruch hin oder her – ich will mein Kleeblatt oben mitspielen sehen, gewinnen sehen. Das mag verwöhnt klingen, aber ich weiß, dass in diesem Verein so viel mehr steckt, als man aktuell auf dem Rasen sehen kann.

Im Moment aber läuft man Gefahr, dass die Stimmung rund um den Verein kippt. Die Zuschauer werden ungeduldig, pfeifen und die Zuschauerzahl war auch nicht mehr im fünfstelligen Bereich. Ja, Freitag gegen keinen großen Gegner. Trotzdem. In meinen Augen droht gerade das Abdriften in die Negativspirale. Misserfolg, Selbstzweifel, Unruhe. Die Mannschaft hat Freitag am Zaun das erste Mal auch Unmut zu spüren bekommen. Das tut natürlich auch weh, weil man als (richtiger) Anhänger nur schweren Herzens und im Endeffekt auch mit schlechtem Gewissen zu diesem Stilmittel greift, aber es war in dieser Situation angebracht. Die Jungs müssen aufwachen. Nach Urzeiten war auch der Klassiker „Wir woll’n euch kämpfen seh’n“ mal wieder von den Rängen erklungen. Kein gutes Zeichen.

Ich hoffe inständig, dass man intern die Ruhe behält, sich auf das Wesentliche konzentriert und im Pokal in Kaiserslautern eine Reaktion zeigen kann. Es muss kein Feuerwerk sein, aber ich möchte sehen, dass man sich wieder (und noooooochmal fünf Euro) auf die Grundtugenden besinnt. Dass man wieder einfachen, zielstrebigen Fußball spielt. Dass man von Anfang bis Ende erkennt, dass die Truppe das Spiel gewinnen will. Und dass Frank Kramer vielleicht mal vor der 80. Minute wechselt.

In diesem Sinne, mit der Hoffnung auf die Kleeblatt-Schokoladenseite:

Vorwärts, Kleeblatt!

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